Aus dem Frauenhaus Bochum •Gesellschaft und Frauen
„Schämt euch nicht für die Gewalt, die euch angetan wurde.“
Muna liebt es hell in ihrer Wohnung. Kerzenständer, Tablett und Dekorationen – ihre Wohnräume hat sie mit weißen und silberfarbenen Accessoires gespickt. Der Koran lehnt an der Wand auf dem TV-Board. In ihrem Wohnzimmer berichtet die 38-Jährige mit ihren wachen, grünblauen Augen über ihren Weg: von Syrien nach Deutschland, weiter ins Frauenhaus Bochum und in ihr neues unabhängiges, aber herausforderndes Leben als alleinerziehende Syrerin mit drei Kindern.
Muna ist wichtig: Ihre Geschichte soll anderen Frauen, die Gewalt erfahren, Hoffnung machen, damit viele den Weg in die Selbstständigkeit gehen. Denn leider kehrt rund Drittel von ihnen nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus Bochum zu ihren Misshandlern zurück.
„Unsere Ehe war nicht richtig schlecht.“
2016 flüchtet Muna mit ihren zwei Mädchen und einem Jungen, heute 21, 15 und 13 Jahre alt, zu uns in Frauenhaus Bochum. Sie ist sehr verängstigt. Sie hat Krieg, Flucht sowie seelische und körperliche Gewalt von ihrem Ex-Mann erfahren. Schon mit 14 Jahren wird sie in Syrien verheiratet. Als ihr Mann an Krebs stirbt, heiratet sie kurze Zeit später seinen Bruder Deen. „Ich musste wieder heiraten“, berichtet Muna. „Als alleinstehende Mutter in Syrien hätten meine Kinder nicht bei mir leben dürfen. Kinder werden den Männern zugestanden, nicht den Frauen. Unsere Ehe war auch nicht richtig schlecht, Ärger gab es damals kaum. Ich blieb zu Hause mit den Kindern und Deen arbeitete, er lieferte Gasflaschen aus.“ Muna und Deen führen eine Ehe mit wenig Nähe und Gefühlen, aber sie kommen miteinander zurecht. Sie erfüllen ihre Pflichten in der Beziehung und der Familie.
Flucht über Land und Wasser
2011 beginnt der Krieg in Syrien. In den Kämpfen sterben hunderttausende Menschen, mehr als fünf Millionen Syrer*innen fliehen, weil sie überleben wollen, weil sie nicht in den Krieg ziehen wollen – auch Muna, Deen, die drei Kinder sowie Cousins, Cousinen, Tanten und Onkel, insgesamt 13 Familienangehörige. Die Flucht ist beschwerlich, sie dauert 14 Tage und führt 16 Stunden zu Fuß über Land. Sie führt weiter übers Mittelmeer – in einem übervollen Boot, das für 30 Menschen ausgelegt, aber mit 80 Menschen besetzt ist. Die Überfahrt kostet jeden Flüchtling 1.000 Euro. Ihre Flucht führt sie über ein türkisches Flüchtlingscamp nach Deutschland.
„Er wollte mich töten.“
Als die Familie schließlich Deutschland erreicht, erlebt Deen, dass Frauen Rechte haben. Mit diesem Kulturverständnis kommt er scheinbar gut zurecht, er wirkt souverän. „Deen kann Menschen täuschen. Er ist ein guter Schauspieler und sehr charismatisch“, berichtet Muna. „Aber er ist ein sehr gefährlicher, aggressiver Mann.“ Er kurbelt die Gewaltspirale an und beginnt, Muna zu kontrollieren: Er verbietet ihr, in Gegenwart anderer Menschen zu sprechen. Er verbietet ihr, ohne ihn das Haus zu verlassen. Er verbietet ihr den Besuch der Sprachschule. Die Gewaltspirale dreht sich immer schneller. Harmlose Meinungsverschiedenheiten arten in Gewalt aus: Deen schlägt Muna jetzt fast täglich: „Er würgte mich, schlug mit Gegenständen auf mich ein, er presste mir mit aller Kraft die Spitze eines Regenschirms in die Brust. Er wollte mich töten. Ich lebte in größter Angst und permanenter Anspannung.“ Bis ihr Körper nicht mehr mitmacht. „Ich bin einfach in mich zusammengesackt. Mein Körper war kraftlos. Ich musste ins Krankenhaus, um zu überleben. Ich wusste: Ich muss ausziehen und eine Wohnung in einer anderen Stadt finden, sonst sterbe ich.“
„Im Frauenhaus bin ich selbstständig geworden.“
Eines Nachts, als Deen schläft, flüchtet Muna im Jahr 2016 mit den Kindern ins Frauenhaus Bochum. Sie ist in Sicherheit: „Mir geht das Herz auf, wenn ich an meine Rettung denke. Ich lobe Ulrike, Irena, Maren und alle Kolleginnen. In anderen Häusern müssen die Frauen durch vieles allein durch, aber in Bochum werden Frauen an die Hand genommen, unterstützt, zu Terminen begleitet. Dort bin ich selbstständig geworden, habe Deutsch gelernt, mich um Papiere und eine Wohnung gekümmert. Meine Kinder und ich waren glücklich im Frauenhaus.“
Spuren der Gewalt
Als Muna und ihre Kinder das Frauenhaus nach neun Monaten verlassen und in eine Wohnung ziehen, ist das Leid nicht vorbei: Auch nach der Scheidung von Deen versucht er, sie zu kontrollieren, verfolgt sie drei Jahre lang – bis Muna eine Verfügung erwirkt und er sich nicht mehr als 40 Meter nähern darf.
Krieg und Gewalt haben Spuren hinterlassen. Muna wird zwei Jahre lang psychotherapeutisch behandelt, unter anderem wegen ihres Restless-Legs-Syndroms, eine chronische neurologische Erkrankung mit intensivem, unangenehmen Bewegungsdrang in den Beinen. Auch ihre Kinder leiden unter psychischen Zwangsstörungen, zum Beispiel an der sogenannten Trichotillomanie: Munas Tochter reißt sich büschelweise Kopfhaare und Augenbrauen aus.
Muna und ihre Kinder meistern das Leben in Deutschland
Heute meistern Muna und ihre Kinder ihr Leben. Muna hat einen Einbürgerungsantrag gestellt, sie lernt weiterhin Deutsch, hat ihren Führerschein bestanden, möchte sich ein Auto kaufen. Das Geld dafür erarbeitet sie sich mühselig als Vollzeit-Aushilfe in einem Restposten-Shop für 700 Euro monatlich. Sie sucht eine neue Arbeitsstelle in einem Krankenhaus in der Bettenzentrale oder in einem Altenheim. Wenn ihre 21-jährige Tochter nichts zur Miete beisteuern würde, könnte Muna die Familie nicht durchbringen. Doch auch die Tochter möchte bald ihr Leben leben und Medieninformatik studieren.
Muna hat noch einen langen Weg vor sich, aber ihre Geschichte zeigt, wie viel Stärke in unseren Bewohnerinnen steckt und wie sie sich trotz beschwerlicher Umstände mit unserer Unterstützung ein Leben aufbauen – auch wenn uns als Frauenhaus immer noch die gesellschaftliche Unterstützung fehlt. Häusliche Gewalt wird angeprangert, aber in der Praxis erfahren unsere Frauen oft keine besondere Unterstützung, zum Beispiel seitens der Behörden. Wir wünschen uns mehr Beistand und Empathie, um Frauen wie Muna Zuversicht und Hoffnung zu vermitteln.
Muna kämpft weiter und gibt Frauen eine Botschaft auf den Weg: „Schämt euch nicht für das was ihr seid oder was euch angetan wurde. Kämpft und habt keine Angst vor euren Männern, der Familie oder der Gesellschaft. Ihr habt mehr Kompetenzen als ihr denkt: Geht zur Schule, studiert, arbeitet. Habt ein Ziel. Dann könnt ihr alles schaffen.“
Freie Plätze
Übersicht im Frauen-Info-Netz
Sind Sie akut von Gewalt bedroht, informieren Sie sich im Frauen-Info-Netz über freie Frauenhausplätze in NRW. Haben wir freie Plätze, können Sie uns anrufen. Über eine Rufumleitung aufs Notrufhandy sind wir auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar.