Aus dem Frauenhaus Bochum •Finanzierung und Förderung
„Was ich sofort ändern würde? Die Finanzierung der Frauenhäuser.“
Den Sommerausflug planen, einen ALG-II-Antrag stellen, an Corona erkrankte Bewohnerinnen betreuen; beraten, Telefongespräche führen, E-Mails bearbeiten – Ulrike Langers Arbeitstag ist eng getaktet. Sie muss schnell umschalten, um unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Manchmal wünschte sie, sich mehr Zeit nehmen und in Ruhe sortieren zu können.
Ulrike Langer leitet seit 2009 das Frauenhaus Bochum. Im Interview berichtet sie, was zu kurz kommt, was sie sofort ändern würde, wenn sie könnte, aber auch was besonders Spaß macht und wobei sie am besten abschalten kann.
Was macht deine Arbeit als Leiterin des Frauenhauses Bochum aus?
Ulrike Langer: Meine Kolleginnen und ich arbeiten mit Frauen und ihren Kindern, die in einer Krisen- und Ausnahmesituation sind. Jede Lebenssituation ist besonders, jede Frau braucht individuelle Begleitung. Durch die hohe Fluktuation stellen wir uns immer wieder neu auf ihre Fähigkeiten, Bedürfnisse und Erfahrungen ein.
Als Leiterin blicke ich zusätzlich auf das große Ganze: die Abläufe im Haus und die Organisation, die Netzwerkarbeit mit ehrenamtlichen Unterstützerinnen, Partner*innen, die Zusammenarbeit mit unserem Träger, die Öffentlichkeitsarbeit und einiges mehr.
Das Anspruchsvolle: Ich muss schnell umschalten, um unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Vieles muss schnell erledigt werden, denn: Wer weiß, was morgen wieder in unserer Kriseneinrichtung passiert?! Den typischen Arbeitstag gibt es nicht.
Worauf müssen du und deine Mitarbeiterinnen immer vorbereitet sein?
Ulrike Langer: Wir müssen immer damit rechnen, dass Frauen nur mit einer kleinen Tasche und ohne Geld kommen. Dann müssen wir klären: Was braucht sie zuerst? Wie regeln wir Lebensmitteleinkäufe? Welche Hygieneartikel werden benötigt? Was steht behördlicherseits an? Wer kann uns in der Kommunikation unterstützen, wenn sie wenig Deutsch spricht?
Auch kann sich die Situation unserer Bewohnerinnen von jetzt auf gleich ändern, zum Beispiel durch Behördenentscheidungen oder wenn sie sich für einen anderen Weg entscheiden. Manchmal müssen wir Frauen verabschieden, wenn sie sich nicht an Hausregeln halten und Konflikte innerhalb der Gruppe nicht mehr lösbar sind.
Vor allen Dingen müssen wir darauf vorbereitet sein, dass den Frauen immer wieder Steine in den Weg gelegt werden.
Welche Aufgaben kommen zu kurz?
Ulrike Langer: Zu kurz kommt, sich Zeit zu nehmen und in Ruhe sortieren zu können. Durch die überbordende Bürokratie bleibt häufig der entspannte Austausch mit unseren Bewohnerinnen auf der Strecke, um sich einfach mal zu treffen und Spaß miteinander zu haben – abseits von Behördengängen, Anträgen ausfüllen, Anfragen beantworten oder der Wohnungssuche. Wenn dann mal zwischendurch ruhigere Tage kommen, fühlt sich das komisch an, weil der Adrenalin-Pegel fehlt.
Du arbeitest seit 2009 als Leiterin. Inwieweit hat sich deine Arbeit mit den Jahren verändert?
Ulrike Langer: Der Anteil der Frauen mit deutschen Wurzeln ist gesunken, der Anteil der Frauen mit Migrationsgeschichte gestiegen. Viele sprechen nur wenig bis gar kein Deutsch. So können wir trotz Dolmetscher*innen nicht so intensiv beraten, wie wir es uns wünschen und viele Dinge nicht einfach so ansprechen.
Wie funktioniert das Zusammenleben im Haus?
Ulrike Langer: In unserem frisch bezogenen Neubau hat jede Frau ein Zimmer für sich und ihre Kinder, je nach Kinderanzahl auch ein eigenes Badezimmer. Die große Küche und das Wohnzimmer teilen sich die Frauen auf einer Wohnetage. Die Frauen kochen für sich selbst und müssen die Räumlichkeiten sauber halten. Das regeln wir über Putzdienstpläne.
Wir treffen die Frauen dreimal in der Woche, zur Montags-Gesprächsrunde, in der wir zum Beispiel über Wohnungs- und Arbeitssuche sprechen. Mittwochs kontrollieren wir die Zimmer. Freitags halten wir unsere Hausversammlung ab, an der alle teilnehmen müssen. Wir besprechen Probleme über das Zusammenleben, die Erreichbarkeit der Frauen außerhalb unserer Bürozeiten oder Probleme mit Haushaltsgeräten.
Wie gut das Zusammenleben in der Gruppe klappt, hängt natürlich von den einzelnen Bewohnerinnen, deren Sympathien und dem Verständnis füreinander ab.
Was macht dir am meisten Spaß an deiner Arbeit?
Ulrike Langer: Meine Arbeit ist sehr vielseitig. Im Haus wird es nie langweilig. Ich lerne so viele Frauen und ihre Lebensgeschichten kennen, die neben dem Leid, das sie erdulden mussten, auch Stärken beweisen. Ich lerne viel über das Leben aus anderen Kulturen, was mich einerseits sehr bereichert, andererseits in Bezug auf Frauenrechte auch sprachlos macht.
Was ärgert dich?
Ulrike Langer: Jeden dritten Tag stirbt eine Frau, getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner. Das bleibt weiterhin nur eine Randnotiz in unseren Medien oder wird verharmlost.
Auch diskutieren wir seit vielen Jahren fruchtlos über das Umgangsrecht eines gewalttätigen Vaters zu seinen Kindern. Ich ärgere mich über familiengerichtliche Entscheidungen: Denn gewalttätige Väter dürfen ihre Kinder besuchen, auch wenn diese es nicht wollen. Umgekehrt baut man Müttern große Hürden und verbietet ihnen den Umgang, weil sie ihre Kinder aus nachvollziehbaren Sicherheitsgründen nicht ins Frauenhaus mitnehmen konnten. Dies sind keine Einzelfälle.
Immer wieder ärgert mich sehr, dass einige Behörden kein Verständnis für die Situation von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern zeigen und nicht lösungsorientiert arbeiten – sie erklären sich nicht zuständig oder wehren Anliegen ab, ohne Alternativen anzubieten. Dann müssen diese Frauen über Wochen hinweg ohne eigenes Geld bei uns wohnen.
Immer noch fehlt eine Finanzierung des Frauenhilfesystems.
Mich stört auch, dass uns Frauenhäusern unterstellt wird, wir würden nur die Frauen beziehungsweise Mütter im Blick haben, Partei für sie ergreifen und darüber die Kinder vergessen. Das stimmt nicht. Wir haben unsere Kinder immer im Blick und begleiten sie im Alltag. Sie erzählen uns, was sie erlebt haben und wovor sie Angst haben. Leider findet das wenig Gehör bei den Entscheidungsträger*innen.
Wobei wünschst du dir mehr Unterstützung?
Ulrike Langer: Die Lebenssituation von Frauen ist manchmal so schwierig, dass wir allein keine Lösungen für aufenthaltsrechtliche, finanzielle oder familienrechtliche Probleme finden. Das ist schwer auszuhalten. Ich wünsche mir, dass wir mit den beteiligten Institutionen wie Jugendämtern, Ausländerämtern und Sozialämtern gemeinsam nach Lösungen suchen, vor allem für die betroffenen Kinder.
Wenn du etwas sofort ändern könntest, was wäre das?
Ulrike Langer: Die Finanzierung der Frauenhäuser. Der Aufenthalt jeder Frau, unabhängig von ihrer finanziellen Situation und ihrem aufenthaltsrechtlichen Status, muss bis auf Weiteres bezahlt werden. Damit würde auch der Bürokratismus bei der Aufnahme einer gewaltbetroffenen Frau entfallen.
An welche Momente in deiner langjährigen Arbeit im Frauenhaus erinnerst du dich gerne zurück?
Ulrike Langer: Ich erinnere mich immer gerne an Ausflüge und besondere Aktionen mit unseren Frauen und Kindern, zum Beispiel beim Klettern in einer Kletterhalle. Beeindruckend, wie unsere Frauen, die noch nie geklettert sind, eine Wand emporklimmen können. Auch das Feiern und Essen mit ihnen macht riesigen Spaß. Viele können toll kochen. Einer der Höhepunkte war einmal mein Besuch bei einer Hochzeit und einer Verlobung.
Woher nimmst du deine Energie? Wobei tankst du auf?
Ulrike Langer: Durch die Menschen an meiner Seite und meine Hobbys: Ich habe zwei Hunde und einen großen Garten. Wenn ich nach einer Arbeitswoche am Freitag zu Hause angekommen bin, kann es sein, dass ich – je nachdem was vorgefallen ist – noch ein, zwei Stunden gedanklich im Frauenhaus bin. Aber danach kann ich gut abschalten.
Liebe Ulrike, herzlichen Dank für das Gespräch!
Stärker als Gewalt
Sie haben erfahren, wie sehr Frauen und ihre Kinder das Frauenhaus Bochum brauchen. Möchten Sie die Frauenhaus-Arbeit unterstützen? Dann schauen Sie hin und verschließen Sie Ihre Augen nicht. Ahnden wir Gewalt gegen Frauen, wann immer wir sie bemerken und nennen wir sie beim Namen – vor allem in der Öffentlichkeit. Denn Gewalt ist keine Privatsache, sondern eine Menschenrechtsverletzung. Je mehr Menschen das verstehen, desto größer ist die Chance, dass wir stärker werden – stärker als Gewalt.
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!
Ihre Berichte aus dem Frauenhaus sind immer interessant zu lesen.
Es ist beeindruckend, wie Sie unter den schwierigen Rahmenbedingungen diese Arbeit leisten.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Lieber Herr Rempe,
wir freuen uns sehr über Ihr Lob.
Vielen lieben Dank.