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Hemmnis Bürokratie

Aus dem Frauenhaus Bochum •Finanzierung und Förderung

Hemmnis Bürokratie

Das Frauenhaus Bochum gibt misshandelten Frauen und ihren Kindern ein Zuhause auf Zeit. In unserem Schutzhaus bauen sie sich ein neues Leben auf. Unser Anspruch: schnelle und unbürokratische Hilfe. Doch leider scheitert unsere Hilfe oft an der Bürokratie – wie im Fall der 24-jährigen Jana und ihrer einjährigen Tochter Hannah. Ihr Fall zeigt: Die Aussicht unserer Frauen auf ein angstfreies Leben ist zerbrechlich.

 

Im November 2021 flüchtet Jana mit Hannah zu uns ins Frauenhaus. Sie will in Bochum leben, will räumliche Distanz zu ihrem gewalttätigen Lebensgefährten. Unsere Sozialarbeiterin Ulla Griehl wird sie in den nächsten Monaten begleiten. Sie meldet Jana und Hannah am 30. November 2021 in Bochum an.

 

Leben unter dem Existenzminimum

Jana ist intellektuell beeinträchtigt und arbeitet in einer Behindertenwerkstatt. Eine gesetzliche Betreuerin vertritt sie, die Betreuerin kommuniziert mit Banken und Behörden und kümmert sich um Vermögenssorge- sowie Wohnungsangelegenheiten.
Jana kann ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten. Sie hat keine Familie, Freundinnen oder Freunde, die sie unterstützen könnten. Sie und ihre Tochter leben zurzeit von Kindergeld, einem Gesamteinkommen von 438 Euro. Das ist weniger als Jana von Gesetzes wegen allein zusteht. Sie und Hannah leben unter dem Sozialhilfebedarf, unter dem Existenzminimum. Ohne finanzielle Unterstützung kann Jana weder die Kosten des Frauenhauses stemmen noch Mietkosten einer eigenen Wohnung.

 

Sozialamt Bochum beantwortet Antrag auf Hilfe mit Anforderung unzähliger Unterlagen

Jana hat Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII. Ulla beantragt die Hilfe beim Sozialamt Bochum. Im November 2021. Im Dezember 2021 reagiert das Amt und fordert Bescheide sowie Bestätigungen an, unter anderem Kontoauszüge, Kindergeldbescheid, Elternzeit-Nachweis, Werkstattvertrag über Janas Anstellung in der Behindertenwerkstatt, Schwerbehindertenausweis und das Gutachten über ihre Erwerbsunfähigkeit.
Die Betreuerin übergibt die Unterlagen im selben Monat dem Sozialamt, das den Empfang bestätigt, sich aber anschließend nicht mehr meldet. Auf Nachfrage lässt es Ulla wissen, dass es nur mit Janas Betreuerin über den Antrag kommuniziere. Deren Büro bestätigt Ulla am 17. Dezember, das Sozialamt habe den Antrag bewilligt und die Zahlungen zu Ende Dezember in Aussicht gestellt.

 

Eine neue Wohnung für Jana? Nicht ohne Mietgarantie

Der Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt gilt als bewilligt, die Freude ist groß, auf gehts zur Wohnungssuche. Wir haben Glück und schnell ein Mietangebot für eine Wohnung in Bochum für Jana und Hannah. Die Wohnungsmiete ist angemessen. Noch im Dezember haben wir das Wohnungsangebot an die gesetzliche Betreuerin versendet. Nach den Feiertagen im Januar 2022 liegt uns noch immer keine Mietgarantie des Sozialamts vor. Dieses teilt Ulla – erst auf Nachfrage – mit, es habe der Betreuerin einen Bescheid zugestellt.

 

Sozialamt Bochum lehnt Zuständigkeit ab

Am 10. Januar ist noch immer keine Hilfe zum Lebensunterhalt für Jana und Hannah gezahlt worden. Doch am 13. Januar erreicht die Betreuerin eine schlechte Nachricht: ein Ablehnungsbescheid des Bochumer Sozialamts. Die Begründung: Nicht das Bochumer Amt sei zuständig, sondern das Sozialamt an Janas ehemaligem Wohnort Düsseldorf. Das Düsseldorfer Amt wiederum teilt uns mit, das Bochumer Amt sei zuständig.

Die Betreuerin legt Widerspruch zum Ablehnungsbescheid aus Bochum ein, während Ulla parallel eine E-Mail ans Amt versendet. Eine Antwort erhalten weder Ulla noch die Betreuerin. Ein Telefonat mit einem Experten des Sozialamtes und der Hinweis auf ein Gerichtsurteil in einem ähnlich gelagerten Fall führen ebenfalls nicht zum Einlenken. Zwischenzeitlich vergibt der Vermieter die Wohnung anderweitig. Weil die Zuständigkeit ungeklärt ist, hat keines der Ämter eine Mietgarantie erteilt, obwohl eine Angemessenheitsbescheinigung vorliegt.

 

Gefangen in der bürokratischen Zuständigkeitsfalle

Spätestens von jetzt an sind wir in der bürokratischen Zuständigkeitsfalle. Jeder verweist auf den anderen, niemand will Verantwortung für einen gesetzlich eindeutigen Anspruch übernehmen. Jana lebt in einem Schwebezustand, der alle Planungen zunichtemacht und Zukunftsaussichten düster aussehen lässt.

 

Sozialdezernentin eingeschaltet

Unsere Leiterin Ulrike sendet eine E-Mail an die Dezernentin für das Amt für Soziales in Bochum und weist auf Janas Bedürftigkeit und die Dringlichkeit ihres Falls hin – mit der Bitte um Auflösung der Zuständigkeitsschiebereien. Doch weil zeitnah wieder keine Reaktion erfolgt, vereinbaren wir einen Termin bei einem Anwalt für Sozialrecht für den 7. März, um ein Eilverfahren bei Gericht in die Wege zu leiten.

 

Die Auflösung im Februar 2022

Am 23. Februar erhalten wir ohne weitere Erklärung eine Kostenzusage des Sozialamtes Bochum. Es übernimmt für Jana die Kosten für Unterbringung und Betreuung. Auch für Hannah hoffen wir auf eine Zusage. Jana erwartet nun die Nachzahlung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Den Termin beim Sozialrechtsanwalt haben wir abgesagt.

Das Sozialamt Bochum hat endlich, nach drei Monaten, seine Zuständigkeit anerkannt.

Wir sind erleichtert, dass die Ungewissheit ein Ende hat.

 

Das macht uns fassungslos: mangelhafte Zusammenarbeit, Untätigkeit, Bürokratie

Es ist uns eine Herzensangelegenheit, Ihnen, unseren Leser*innen und Freund*innen des Frauenhauses, Janas Fall darzulegen. Er steht für all die anderen Fälle und zeigt, mit welchen bürokratischen Hürden wir jeden Tag kämpfen – mit mangelhafter Zusammenarbeit der Behörden, mit Untätigkeit, mit Gleichgültigkeit, mit dem Nicht-Zuständig-Erklären auf dem Rücken von Menschen, deren gesetzlicher Anspruch auf Hilfe eindeutig ist. Keines der Ämter hat Janas Notlage anerkannt, keine*r der Mitarbeiter*innen war in der Lage, ein gesetzlich verbrieftes Recht zum Wohle der bedürftigen Frau und ihres Kindes lösungsorientiert umzusetzen. Die Auseinandersetzung mit den bürokratischen Hürden bindet Kraft und Zeit zu Lasten unserer anderen Aufgaben. Der Zuständigkeitsstreit in Janas Fall ist nicht nur mühselig, sondern zermürbt uns, macht uns traurig, ohnmächtig und fassungslos.

 

Das wünschen wir uns: empathische, professionelle Mitarbeiter*innen mit Sozialkompetenz

Wir wünschen uns kurze Amtswege und direkte Ansprechpartner*innen in den Ämtern – professionelle Mitarbeiter*innen, die entscheidungsbefugt sind, mit denen wir uns regelmäßig austauschen und lösungsorientiert arbeiten können. Mitarbeiter*innen, die Bedarfe erkennen und Entscheidungen zum Wohl unserer Bewohnerinnen und Kinder treffen. Wir wünschen uns empathische Mitarbeiter*innen mit Sozialkompetenz, die den Frauen Zuversicht vermitteln, statt ihnen Angst zu machen. Sie haben Hoffnung bitter nötig.

 

ℹ️ Zur Sicherheit unserer Bewohnerinnen haben wir Namens- und Ortsangaben geändert.


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